01.02.2010

Kein Ersatz der Umsatzsteuer bei fiktiver Reparaturkostenabrechnung und tatsächlicher Ersatzbeschaffung ohne Umsatzsteuer

Entscheidung des Bundesgerichtshofes zum Ersatz der Umsatzsteuer bei fiktiver Reparaturkostenabrechnung und Ersatzbeschaffung eines Fahrzeugs ohne Umsatzsteuer (BGH NZV 2010, 21)

VI ZR 312/08, Urteil vom 22.09.2009

Nach einem Verkehrsunfall stand die 100 %ige Haftung der beklagten Haftpflichtversicherung fest. Gemäß Sachverständigengutachten waren am Fahrzeug des Klägers zur Schadensbeseitigung Reparaturkosten in Höhe von 3036,95 € netto bzw. 3613,97 € einschließlich Mehrwertsteuer erforderlich, bei einer verbleibenden Wertminderung von 150 €. Der Wiederbeschaffungswert lag bei 7800 € inklusive Mehrwertsteuer, der Restwert des Unfallfahrzeuges bei noch 3670 € inklusive Mehrwertsteuer. Der Kläger veräußerte das Unfallfahrzeug unrepariert und erwarb stattdessen ein gebrauchtes Ersatzfahrzeug von privat zum Preis von 8700 €. Die beklagte Haftpflichtversicherung ersetzte vorgerichtlich die Netto-Reparaturkosten von 3036,95 € und die Wertminderung von weiteren 150 €. Nach Durchführung der Ersatzbeschaffung nahm der Kläger die Beklagte auf Zahlung der Umsatzsteuer auf die fiktiv abgerechneten Reparaturkosten in Anspruch.

Nach Auffassung des Berufungsgerichtes sei für die Ersatzbeschaffung zwar keine Umsatzsteuer ausgewiesen worden, doch habe der Kläger durch die - gegenüber einer Reparatur wesentlich teurere - Ersatzbeschaffung die Restitution konkret durchgeführt und sein Interesse an der vollständigen Behebung des ihm entstandenen Schadens dokumentiert. Es sei deshalb angemessen, dem Kläger Schadensersatz aufgrund der durchgeführten Naturalrestitution durch Ersatzbeschaffung zu gewähren, beschränkt auf die Höhe der fiktiven Brutto-Reparaturkosten.

Der BGH lehnte eine Ersatzpflicht hinsichtlich der fiktiven Umsatzsteuer auf die Reparaturkosten im Ergebnis ab. Der BGH führt aus, dass grundsätzlich Naturalrestitution geschuldet sei, für welche im Prinzip zwei Wege zur Verfügung stünden, nämlich entweder die Durchführung der Reparatur des beschädigten Fahrzeugs oder stattdessen die Anschaffung eines gleichwertigen Ersatzfahrzeugs. Aufgrund des "Wirtschaftlichkeitspostulats" habe der Geschädigte jedoch den Restitutionsweg mit dem geringsten Aufwand zu wählen, da gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB nur die "erforderlichen" Kosten für die Restitution geschuldet werden und der Geschädigte durch den Schadensersatz nicht bereichert werden dürfe. Dementsprechend habe der Kläger sich anhand des Wirtschaftlichkeitsgebotes an sich für eine Abrechnung auf Reparaturkostenbasis und nicht für eine Ersatzbeschaffung entscheiden müssen. Er könne daher maximal den geringeren Aufwand für die Abrechnung auf Reparaturkostenbasis verlangen.

Sei hiernach, aufgrund des Wirtschaftlichkeitsgebotes, auf der Basis einer fiktiven Reparaturkostenabrechnung abzurechnen, so sei wegen § 249 Abs. 2 BGB der Ersatz der Umsatzsteuer nicht geschuldet, da der Gesetzgeber insoweit ausdrücklich vorgeschrieben habe, dass Umsatzsteuer nur in dem Umfange zu ersetzen sei, wie sie zur Durchführung der Naturalrestitution tatsächlich erforderlich und angefallen ist. Dabei komme es letztlich nicht darauf an, welchen der möglichen Wege der Naturalrestitution der Geschädigte bestritten habe, sondern nur darauf, ob hierfür tatsächlich Umsatzsteuer angefallen ist.

In dem hier entschiedenen Falle sei daher zunächst, auch im Falle einer Ersatzbeschaffung, eine Begrenzung des Schadensersatzes, auch hinsichtlich der Umsatzsteuer, auf den günstigeren Reparaturaufwand gegeben. Der Geschädigte könne insoweit also maximal die Umsatzsteuer auf die fiktiven Reparaturkosten ersetzt verlangen, soweit wenigstens in dieser Höhe Umsatzsteuer angefallen sei. Da die Ersatzbeschaffung von privat erfolgte, also ohne Umsatzsteuer, sei also für die Naturalrestitution Umsatzsteuer gerade nicht angefallen und dementsprechend gemäß § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht zu ersetzen.

Anmerkung: die Entscheidung kann im Ergebnis nicht überraschen, denn sie folgt lediglich konsequent dem ausdrücklichen gesetzgeberischen Willen. Der Gesetzgeber hat 2002 bewusst die (bis dahin regelmäßig auch bei fiktiver Abrechnung zu ersetzende) Umsatzsteuer durch die Einführung von § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB von den auch fiktiv zu ersetzenden Schadenspositionen ausgenommen. Die vom Berufungsgericht vorgenommene Angemessenheitsbetrachtung widerspricht nicht nur diesem ausdrücklichen gesetzgeberischen Willen, sondern würde auch zu einer ungerechtfertigten Besserstellung desjenigen Geschädigten führen, der sich bei Reparaturwürdigkeit seines Fahrzeugs für eine Ersatzbeschaffung von privat entscheidet. In allen anderen vergleichbaren Konstellationen, also dann, wenn fiktiv auf Reparaturkostenbasis ohne Ersatzbeschaffung abgerechnet wird, wenn tatsächlich in der Werkstatt repariert wird oder wenn eine Ersatzbeschaffung vom Händler, also mit Umsatzsteuer, erfolgt, verbleibt dem Geschädigten die Umsatzsteuer wirtschaftlich nicht, ist quasi ein "Durchlaufposten", da sie bei der fiktiven Abrechnung nicht erstattet und in den beiden anderen Fällen durch die tatsächliche Zahlung der Umsatzsteuer "aufgefressen" wird. Demgegenüber würde dem Geschädigten, der eine Ersatzbeschaffung von privat vorgenommen hat, wenn sein Ersatzanspruch nicht auf den Netto-Reparaturwert, sondern auf die Brutto-Reparaturkosten beschränkt würde, die Umsatzsteuer faktisch wirtschaftlich verbleiben, zur Tragung (eines Teils) seiner Ersatzbeschaffungskosten.

Tipp: der Geschädigte, der bei Abrechnung auf Gutachtenbasis und Reparaturwürdigkeit seines Fahrzeugs eine Ersatzbeschaffung vornehmen will sollte auch Angebote vom Händler, welche also mit Umsatzsteuer angeboten werden, zumindest genau prüfen und in seine Auswahlentscheidung mit einbeziehen. Da in der hier entschiedenen Konstellation zumindest ein Teil der Umsatzsteuer, welche auf das ersatzbeschaffte Fahrzeug anfällt, ersetzt würde (nämlich begrenzt durch die Umsatzsteuer von vorliegend 577,02 € auf die fiktiven Reparaturkosten), könnte eine Ersatzbeschaffung vom Händler, welche meist mit einer zumindest beschränkten Gewährleistung, häufig darüber hinaus einer Gebrauchtwagensgarantie, verbunden ist, wirtschaftlich durchaus interessant sein. Im vorliegenden Falle beispielsweise hätte der Kläger ein Ersatzfahrzeug vom Händler für 9277,02 € anschaffen können und dann, aufgrund des anteiligen Ersatzes der Umsatzsteuer wirtschaftlich genauso gestanden, wie bei dem Kauf für 8700 € von privat, jedoch alle diejenigen Vorteile gehabt, die beim Kauf vom Händler regelmäßig bestehen. Je nachdem, was der Gebrauchtwagenmarkt zum Zeitpunkt der Kaufentscheidung bot, wäre dies möglicherweise wirtschaftlich interessant gewesen.